Zusammenfassung Klostermedizin

Die christlichen Mönche der Antike waren Wandersleute. Für die zölibatären Christen bedeutete der Wendepunkt vom Altertums zum Frühmittelalter eine Änderung ihres Lebensstils: Sie wurden in Klöstern sesshaft.
Benedict von Nursia gründete 527 in Süditalien das erste Ordenshaus und schuf mit ihm die „Regula“. Darin legte er auch das wichtigste Prinzip eines Mönchslebens fest: „Die Sorge für die Kranken steht vor und über allen anderen Pflichten.“ Diese Vorschrift begründete die Entwicklung klösterlicher Spitäler und mithin auch die Klostermedizin. Denn Papst Gregor der Große erklärte die benediktinischen Ordensregeln für allgemein verbindlich.
Mit der Gründung des Klosters „Vivarium“ 554 durch den römischen Aristokraten Cassiodorus flossen Traditionen der griechisch-römischen Antike in die Klosterheilkunde ein. Ob der Senatoren-Sprössling Cassiodorus selbst Mönch oder Abt gewesen ist, verbürgt keine verbindliche Quelle. Jedenfalls hat er in dem von ihm gegründeten Kloster gelebt und gewirkt. Er hinterließ eine beachtliche Bibliothek und empfahl den heilkundigen Mönchen das Studium der Schriften frühantiker Ärzte. Schon im 4. Jahrhundert hatte ein unbekannter Autor die Hinterlassenschaft von Plinius dem Älteren für die Heilkunde aufgearbeitet. Der Anonymus formte die „Naturalis Historia“ des Römers in eine medizinische Enzyklopädie um. Diese „Medicina Plinii“ ist ein mehrbändiges Werk, das ein Kompendium der altrömischen Vorlage darstellt, geordnet nach praktischen medizinischen Kriterien. Gargilius Martialis war es, der die Medicina Plinii mit den Erkenntnissen des griechischen Arztes Alexandros von Tralleis erweiterte. Mit der nun „Physica Plinii“ genannten Sammlung kam ein Großteil des antiken Wissens in die mittelalterliche Klosterheilkunde.
Neben der Physica Plinii ist ein weiteres Werk maßgebend für die Entwicklung der Klostermedizin: Der „Wiener Dioskurides“ aus dem Jahre 512. Das bedeutende Dokument hat auch kunsthistorisch gesehen beachtlichen Wert inne. Geniale Schreiber, Zeichner und Maler schufen den Folianten auf der Grundlage der „Materia Medica“ des griechischen Arztes Pedanios Dioskurides, der im 1. Jahrhundert lebte und ein weitgereister Gelehrter war. Das Werk widmet sich überwiegend der Pflanzenheilkunde und so sind die Rezepte mit Abbildungen der Heilpflanzen illustriert. Aber auch anorganische Stoffe beschreibt der Dioskurides als Pharmazeutika. Verbreitung fand das Original durch die intensive Arbeit mittelalterlicher Kopisten. Das medizinische Wissen des Werks nutzten Ärzte bis in das 16. Jahrhundert.
Die Physica Plinii und der Dioskurides sind Sammlungen des Erfahrungswissens der antiken Ärzte. Die theoretische Grundlage für medizinische Betrachtungen, Diagnosen und Methoden schuf der griechische Heilkundige Galen aus Pergamon. Er verfasste die teils metaphysische, teils empirische Lehre der Humoralpathologie. Die Erkenntnisse des Griechen lehnten sich in ihren empirischen Teilen an Hippokrates, aber auch an Dioskurides an. Galens Hauptwerk „Methodi medendi“ beruht auf der Vier-Säfte-Lehre, die schwarze und gelbe Galle, Blut und Schleim als die 4 Elemente des Körpers betrachtete, die ein inneres Gleichgewicht halten müssen. Letztlich war diese Humoralpathologie eine Übertragung aus der allgemeinen Weltsicht. Denn auch 4 Elemente waren es, die für die antiken und mittelalterlichen Wissenschaftler das Universum bildeten. Sicher hat Galenos die Elementenlehre in ihren Grundzügen von den Ägyptern übernommen. Denn der griechische Arzt lebte und forschte viele Jahre in Alexandria. Andere antike, weniger voluminöse Texte beeinflussten die Klosterheilkunde mit phytomedizinischen Rezeptsammlungen. Der „Pseudo-Apuleius“ sowie das „Betonica-Traktat“ enthalten Monographien einzelner Heilpflanzen.
Die Nonnen und Mönche des Mittelalters wandten die Kenntnisse des Altertums nicht nur an, sondern bereicherten das Wissen auch mit eigenen Erfahrungen. Sie vergaßen auch nicht, ihre Erkenntnisse zu dokumentieren. Im Prinzip schufen die Kundigen der Klosterheilkunde immer Erweiterungen der Physica Plinii und des Dioskurides. Denn die Sammlungen mit Kräuterrezepten wiederholten stets auch die Anweisungen für die Herstellung antiker Präparate. Das früheste Beispiel solcher Bestrebungen ist das „Lorscher Arzneibuch“ aus dem 8. Jahrhundert. Das Rezeptbuch beschreibt Heilpflanzen mit ihren Indikationen und Wirkungen. Und obwohl die Verfasser des Lorscher Arzneibuchs auch orientalische Drogen berücksichtigen, betonen sie ganz klar den Wert heimischer Heilkräuter. Das geschieht auch hinweislich darauf, dass sich die meisten Kranken der Zeit die teuren Medikamente aus fernen Ländern nicht leisten konnten. Immerhin 500 Rezepte aus regionalen Heilpflanzen summieren sich im Lorscher Arzneibuch.
Doch die schriftlichen Zeugnisse der Klosterheilkunde beschränken sich nicht ausschließlich auf Apothekenbücher. Der heute sogenannte „Sankt Gallener Klosterplan“ ist der Entwurf einer vollständigen klösterlichen Klinik. Freilich enthält das Pergament auch einen detaillierten Garten für Offizinalpflanzen. Die anzubauenden Kräuter sind Beet für Beet neben den Gebäudegrundrissen eingetragen. Der Sankt Gallener Klosterplan, der vermutlich um das Jahr 820 entstand, steht wahrscheinlich in enger Verbindung zu Wahlafrid von der Reichenau. Der Dichter lebte als Abt im Kloster Reichenau und verfasste den „Hortulus“. Darin schrieb der schielende Abt („Strabo“) seine Belehrungen über den gesundheitlichen Nutzen von 23 Gemüsepflanzen und Kräutern in Versform nieder. Melone, Meerrettich, Fenchel, Schlafmohn und Sellerie sowie die meisten anderen Arten, die Wahlafrid Strabo im Hortulus erwähnt, finden sich so im Sankt Gallener Klosterplan wieder.
Das Kloster Monte Cassino, der ursprüngliche Ausgangspunkt der Klostermedizin, stieg im 11. Jahrhundert zu einem Zentrum der internationalen Medizin auf. Dort in Salerno umfasste das Kloster nicht nur eine Reha-Klinik für kranke Mönche, sondern war auch Anlaufstelle für Gelehrte ferner Länder. Der Afrikaner Constantin kam als Gewürzhändler und Heilkundiger nach Salerno und trat ins Kloster ein. Das „Liber graduum“ verdankt die Klostermedizin ihm. Sicher beeinflusste die geistige Strömung von Salerno auch die bekannteste Wissenschaftlerin des Hochmittelalters: Die Ordensfrau Hildegard von Bingen, die als Universlagelehrte neben der beschreibenden Heilkunde auch die theoretische Basis bearbeitete. Im Wesentlichen knüpft Hildegard an die Humoralpathologie an. Überhaupt förderte der Zeitgeist das philosophische Fundament der Klosterheilkunde. Und erneut trugen arabische Wissenschaftler ihren Teil dazu bei. Der „Canon medicinae“ von `Ali ibn Sina sowie der “Aggregator“, das Werk des Ibn Wafid, sind die wichtigsten medizinischen Abhandlungen, die dem Arabischen entstammen. Der Vorstoß der Nordafrikaner auf die Iberische Halbinsel führte zu dem abermaligen orientalischen Einfluss auf die Klostermedizin in Europa.
Im 13. Und 14. Jahrhundert beteiligten sich die Dominikaner rege an der Verbreitung der Klostermedizin. In der Absicht, das Wissen ihrer Zeit zu sammeln und verfügbar zu machen, schufen Mönche des Ordens die großartigen Enzyklopädien des Mittelalters. In den botanischen Kapiteln ihrer Werke widmeten sich Albertus Magnus, Konrad von Megenberg und Vinzenz von Beauvais auch der Phytomedizin.
In der Morgendämmerung der Neuzeit wuchs der Anteil der weltlichen Ärzte. Die vorher öffentlichen Klosterkrankenhäuser mit ihren monastischen Ärzten waren schließlich nur noch ordinierten Menschen zugänglich. Der Aufschwung der Klosterheilkunde ebbte ab, aber in gleichem Maße nahm die Bedeutung der Klöster als Heimstätten der Offizinalpflanzen zu. Auch weltliche Ärzte nutzten die klösterlichen Apotheken.